Durchsetzung deutscher Vollstreckungstitel in Polen – Wie geht das?

Durchsetzung deutscher Vollstreckungstitel in Polen – Wie geht das?

Guido Reker - Mo., 08.07.2019 - 12:00

Wie können von deutschen Gerichten oder Notaren ausgestellte Vollstreckungstitel in Polen vollstreckt werden?

I. Vollstreckungstitel - Begriff

Wir verstehen unter Vollstreckungstiteln von Gerichten erlassene Urteile, Kostenfestsetzungsbescheide, Vollstreckungsbescheide, und vor Gericht abgeschlossene Vergleiche sowie vor einem Notar abgeschlossene Vereinbarungen, in denen eine Partei sich hinsichtlich einer von Ihr versprochenen Leistung der Zwangsvollstreckung unterworfen hat. 

All diesen Titeln ist gemeinsam, dass Sie  privatrechtliche oder handelsrechtliche Ansprüche vollstreckbar machen. 

Nicht gemeint sind hier hoheitliche Ansprüche, wie z.B. durch Durchsetzung eines Bußgeldmandats, einer Steuerforderung, etc.

II. Kann man einen von deutschen Gerichten oder Notaren ausgestellten Vollstreckungstitel in Polen vollstrecken? 

Ja, man kann!  Wie das geht, soll Gegenstand dieser Abhandlung sein. 

Grundlage ist EU-Recht, welches im Bereich der grenzüberschreitenden Vollstreckung wesentliche Erleichterungen gebracht hat. 

Aber Achtung, die hiesigen Ausführungen gelten im Prinzip auch umgekehrt: auch polnische  Vollstreckungstitel können in Deutschland vollstreckt werden!! 

Wer also in Polen zu einer Zahlung oder sonstigen Leistung verurteilt wird, darf sich in Deutschland nicht vor Vollstreckung sicher fühlen!

III. EU-Vollstreckungstitel für „unstreitige“ Zahlungsforderungen

Nun ist es aber nicht so, dass man einfach einen deutschen Vollstreckungstitel nach Polen schicken und diesen vollstrecken lassen kann. Einige formale Erfordernisse muss man doch einhalten.

1. EU-Vollstreckungstitel

Es ist zu unterscheiden, ob es sich um einen Titel über eine „unstreitige“ Zahlungsforderung handelt oder um einen sonstigen Titel.

Nach der EU Verordnung EG-VO 805/2004, die u.a. in den EU-Mitgliedsländern Deutschland und Polen gilt, stellt das Gericht (bei notariellen Urkunden der handelnde Notar) den deutschen Vollstreckungstitel zugleich als EU-Vollstreckungstitel aus, wenn der Kläger dies beantragt.

Das Gericht, welches den Vollstreckungstitel erlassen hat (bzw. den Notar, welcher die Vollstreckungsunterwerfung protokolliert hat) erlässt den EU-Vollstreckungstitel gemäß Mustern, die dieser Verordnung beigefügt sind. 

2. „Unstreitige Forderung“

Wann darf die zuständige deutsche Stelle einen solchen EU-Vollstreckungstitel erlassen? 

Sie darf ihn erlassen, wenn es sich um einen Titel über eine sogenannte „unstreitige Forderung“ handelt. 

„Unstreitig“ bedeutet hier, dass der Beklagte die Forderung anerkannt oder sich zumindest nicht gegen den Erlass des Vollstreckungstitels zur Wehr gesetzt hat. Das ist der Fall bei Versäumnisurteilen, Anerkenntnisurteilen, Vollstreckungsbescheiden, gerichtlichen Vergleichen oder notariellen Vollstreckungsunterwerfungen.

3. Nur Geldforderung

„Forderung“ bedeutet dabei eine auf Zahlung einer  Geldsumme gerichtete Forderung, wobei die Zahlung fällig sein muss oder zu einem in dem Titel angegebenen Datum fällig werden muss. 

4. Sonstige Forderungen

Für Titel über Forderungen, die nicht auf Zahlung, sondern z.B. auf Herausgabe einer Sache oder Vornahme bestimmter Handlungen (z.B. Mängelbeseitigung) gerichtet sind, kann also kein EU-Vollstreckungstitel ausgestellt werden. 

Hier kann die Vollstreckung aber nach der sog. EUGVVO (siehe unten) erfolgen.

5. Kein Anerkenntnisverfahren in Polen erforderlich

Ist der EU-Vollstreckungstitel durch das Heimatgericht des Klägers ausgestellt, kann er ohne weiteres im Zielland (hier: Polen) vollstreckt werden

6. Vollstreckung in Polen 

Um den EU-Vollstreckungstitel in Polen zu vollstrecken, muss sein Inhaber  einen Vollstreckungsantrag an die polnischen Vollstreckungsbehörden stellen, welchem er den deutschen Titel (Urteil, Vollstreckungsbescheid, gerichtlicher Vergleich, vollstreckbar erklärten Notarurkunde) sowie des EU-Vollstreckungstitel jeweils in Originalausfertigung und mit beglaubigten Übersetzungen beifügen muss. 

IV. „Streitige“ Forderungen

Wie steht es nun um die Vollstreckbarkeit deutscher Gerichtsentscheidungen oder notarieller Urkunden bei Forderungen,

  1. gegen die sich der Gläubiger verteidigt und die Forderung auch nicht anerkannt hat, oder
  2. die nicht auf Zahlung einer Geldschuld gerichtet sind (z.B. Herausgabe einer Sache)?

1. EUGVVO alt

Hier gilt eine andere Rechtsgrundlage. Es handelt sich wiederum eine EU-Verordnung, genauer gesagt um zwei Verordnungen, wobei die zweite jüngere Verordnung (EU VO 1215/2015: auch EUGVVO neu) die erstere ältere Verordnung (EG VO 44/2001; auch EUGVVO alt) abgelöst hat.

Die EUGVVO alt  sah als Grundsatz vor, dass die Vollstreckung einer Entscheidung aus einem EU-Land die Anerkennung dieser Entscheidung durch Behörden des Vollstreckungslandes erfordert. Diese Prüfung hatte in einem vereinfachten Verfahren ohne inhaltliche Prüfung der zu vollstreckenden Entscheidung zu erfolgen. 

Im Anwendungsbereich des EUGVVO ist in Polen noch ein gerichtliches Verfahren über die Erteilung einer Vollstreckungsklausel für den deutschen Titel durchzuführen.

2. EUGVVO neu – kein gerichtliches Verfahren in Polen mehr

Die EUGVVO neu sieht hingegen vor, dass die Entscheidung im Vollstreckungsstaat ohne Prüfung oder Anerkennung der Behörden des Vollstreckungsstaates vollstreckt werden kann. 

Vorsetzung ist nur, dass die Behörde des Staates, in dem die Entscheidung erlassen wurde, eine entsprechende Bescheinigung ausstellt. Damit hat man quasi den Freibrief für die Vollstreckung in einem anderen EU-Land.

3. Stichtag

Stichtag für die Anwendung der EUGVVO neu ist der 10. Januar 2015

Für Verfahren, die an diesem Tag oder später eingeleitet wurden, findet die neue Verordnung (EUGVVO neu) Anwendung, welche eine Anerkennung der zu vollstreckenden Entscheidung durch das Vollstreckungsland nicht mehr vorsieht. Das gleiche gilt für Gerichtsvergleiche oder Notarurkunden, die am 10.Januar 2015 oder später abgeschlossen bzw. errichtet wurden.

Für Entscheidungen aufgrund von Verfahren, die vor dem 10. Januar 2015 eingeleitet wurde, ist folglich noch nach der EUGVVO alt ein Anerkenntnisverfahren im Vollstreckungsstaat durchzuführen. 

4. Vollstreckung in Polen

Wie ist also vorzugehen, um einen „streitigen“ Vollstreckungstitel  in Polen zu vollstrecken?

(1) Beginn des deutschen Verfahrens vor dem Stichtag 10.01.2015:

Deutsches Gericht

Bei dem deutschen Gericht, welches den Vollstreckungstitel erlassen hat, ist  eine Bescheinigung nach Art. 54 EUGVVO alt einzuholen. 

Polnisches Gericht

 Bei dem polnischen Wohnsitzgericht des Vollstreckungsschuldners ist Antrag auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel für den deutschen Titel zu stellen. 

Dem Antrag ist der deutsche Titel, die Bestätigung des deutschen Gerichts nach Art. 54 EUGVVO alt sowie eine beglaubigte Übersetzung dieser Unterlagen beizufügen.

Aufgrund des stattgebenden Beschlusses des polnischen Gerichts kann dann in Polen vollstreckt werden.

Gleiches gilt, wenn eine Notarurkunde oder ein Gerichtsvergleich vor dem 10.01.2015 errichtet bzw. abgeschlossen wurden. 

(2) Das deutsche Verfahren wurde am oder nach dem Stichtag 10.01 2015 eingeleitet

Deutsches Gericht

Es ist für den deutschen Titel eine Bestätigung nach Art. 53 EUGVVO neu bei dem deutschen Gericht einzuholen, welches den Vollstreckungstitel erlassen hat. 

Polnisches Gericht

Eine Bestätigung dieses Titels durch polnische Gerichte ist nicht mehr erforderlich. Der Titel nebst Bestätigung kann direkt an die polnischen Zwangsvollstreckungsorgane zur Vollstreckung übergeben werden. 

Gleiches gilt, wenn eine Notarurkunde oder ein Gerichtsvergleich am oder nach dem 10.01.2015 errichtet bzw. abgeschlossen wurden. 

V. Quintessenz

Es ist heutzutage relativ einfach, deutsche Vollstreckungstitel, die auf zivil- oder handelsrechtlichen Sachverhalten beruhen, in Polen vollstrecken zu lassen. Die Kosten und der Zeitaufwand halten sich in erträglichen Grenzen.

Gleiches gilt allerdings auch umgekehrt für polnische Titel in Deutschland!!! Es ist deshalb nicht ratsam, sich in Polen nicht gegen eine Verurteilung zu Wehr zu setzen. Es kann sehr schnell passieren, dass andernfalls der deutsche Gerichtsvollzieher alsbald vor der Tür steht! 

Obige Ausführungen geltend auch für die Vollstreckung von Vollstreckungstitel aus anderen EU Staaten (mit Ausnahme Dänemark und Großbritannien).